Untern Baum im Gartenlokal
heißt die abgebildete Lithographie aus dem Jahr 1956. Mich erinnert
die schlichte Szene an eine Zeit der Kindheit, als man sich während
der Spaziergänge sonntäglich angezogen in einem Lokal einfand
und dort ein weiß-befrackter Kellner die Bestellung aufnahm. Im
diesem kleinen Moment sah die Welt so schön einfach aus. Wie es
der Titel verspricht, fällt der Blick des Betrachters auf Ausflügler,
die unter einem Baum im Gartenlokal sitzen. Da sich die Szenerie an
einem Gewässer entfaltet, an dessen Uferzone ein turmartiges Gebäude
emporragt, mag dieses Lokal vielleicht sogar am Müggelsee gelegen
haben.
In den fünfziger Jahren erreichte Arno Mohr (1910 2001)
mit dieser Art von Genregraphik große Popularität in der
DDR. Als Berliner Zeichner bis zur Mitte der fünfziger Jahre in
der Tradition von Adolf Menzel und Max Liebermann stehend, wurde der
Graphiker Mohr mit der Darstellung derartiger alltäglicher Momente
zum Meister des kleinen Sujets.
1960/61 entstand der autobiographische Zyklus Mein Lebenslauf.
Pointierter als der Kunstwissenschaftler Lothar Lang kann man die Bildsprache
dieser Kaltnadelradierungen nicht beschreiben: lineare Kargheit
und karikatureske Verknappung, der scheinbar naive Krakel, der so leicht
aussieht und doch vieles sagt, der freie Umgang mit Raum und Perspektive,
die außergewöhnliche Beobachtungsschärfe, die im nebensächlichen
Detail das Wesentliche aufspürt, der intelligente Bildwitz, die
bildnerische Anekdote und der Spaß am Fabulieren, in dem sich
Witz und Grübelei vereinen.
Mit wenigen Strichen das Wesentliche darzustellen war für Mohr
ein wichtiges, vielleicht sogar das wichtigste künstlerische Anliegen.
Dazu äußert er sich in einem kleinen Text An der Telefonzelle
ist zu lesen: Fasse dich kurz! Sich kurz zu fassen bedeutet nicht, oberflächlich
zu sein, sondern intensiv.
Fast dreißig Jahre (von 1946 bis 1975) war A. Mohr als Professor
an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee
tätig. Besonders in den fünfziger Jahren mussten Künstler
und Intellektuelle an den Akademien und Hochschulen der DDR mit den
Nachwirkungen der Formalismus-Diskussion und mit anhaltender politischer
Bevormundung und Reglementierung klarkommen. Äußerungen von
damaligen Studenten belegen, dass sich die Professoren, als Teil des
politischen Systems durchaus differenziert verhielten. Vor diesem Hintergrund
ist es besonders hervorzuheben, dass viele ostdeutsche Künstler
Arno Mohr respektvoll als bedeutenden Lehrer und als warmherzigen, integren
Menschen beschreiben.
Katharina Köpping (2005)
Lothar Lang Der Graphiker und Maler Arno Mohr. In: Katalog
Arno Mohr, Hrsg. vom Verband Bildender Künstler der DDR, 1987,
S. 14.
Äußerungen des Künstlers Fasse Dich kurz!.
In: Ebenda, S. 87.
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