Da sitzt sie, von uns und den weltlichen
Dingen abgewandt, am sandigen Strand, vor dem Meer und der tanzenden
Sonne. Mit weichem, gestischen Duktus hat der Pinsel (auf der Metallplatte)
die Formen der Natur und des - sich in der Bildmitte wie ein großes
Gefäß aufbauenden - weiblichen Körpers entworfen.
Diese Graphik von René Graetz (1908-1974) entstand als eine der
letzten Arbeiten vor seinem Tod, im Rahmen einer Reihe von Zinkographien
mit ähnlichen, von der Bulgarischen Schwarzmeerküste inspirierten
Motiven: Bäumen, Felsen, Sonne und Sitzenden. Sitzende Fraugestalten
finden sich in dem plastischen, graphischen und malerischen Werk von
René Graetz häufig. In der Anlage der Figur und ihrer formalen
Reduziertheit wirkt die abgebildete Frau am Meer abstrahiert und vermittelt
sich ihrer sanften Sinnlichkeit als ein Urbild des Weiblichen.
Der Kunstverleih Treptow-Köpenick besitzt außerdem fünf
weitere Graphiken des Künstlers aus den fünfziger und siebziger
Jahren, darunter das Blatt Poetin und Mond (auch 1974) und
die Kaltnadelradierung Krieg und Frieden von 1959. Das Oeuvre
des künstlerisch am ehesten in Frankreich verwurzelten Weltbürgers
zeigt sich durchdrungen von einer humanistischen Grundhaltung, die ihn
in den dreißiger Jahren in Südafrika zur Teilnahme an antifaschistischen
Aktionen veranlasste und dann ins Londoner Exil mit folgender Internierung
in England und Deportation nach Kanada führte. In England heiratete
er 1944 die Graphikerin, Buchillustratorin und Autorin Elizabeth Shaw,
mit der seit 1946 im Osten Deutschlands lebte. Hier geriet er 1949 zusammen
mit Arno Mohr und Horst Strempel wegen der gemeinsamen Arbeit an dem
Wandbild Metallurgie Hennigsdorf für die 2. Deutsche
Kunstausstellung in Dresden in die aufkommende Formalismus-Debatte.
Das Deutsche Historische Museum besitzt die ehemals für den Palast
der Republik angefertigte Arbeit Krieg und Frieden, welches
der Künstlerfreund Arno Mohr nach dem Tod von René Graetz
beendete. Das im Detail formal an Picasso und im Sujet an die Poetin
und Mond erinnernde Bild, zeigt sitzende weibliche Gestalten und
Mutter-Kind-Gruppen. In diesem Kontext stehen die weichen Frauengestalten
als Metapher für ein harmonisch-friedliches Zusammenleben, dem
sich René Graetz in besonderer Weise verpflichtet fühlte.
Katharina Köpping (2006)
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